Baugeschichte
Die Baugeschichte unserer Kirche:
vom Urbau zur größten Holzkirche Mitteleuropas
vom Urbau zur größten Holzkirche Mitteleuropas
von Bernd Gisevius
Das Bauwerk, wie wir es heute kennen, ist aus dem im Dreißigjährigen Kriege errichteten »Urbau« erst nach und nach hervorgewachsen: Nahezu jede Generation hat sich im Laufe der inzwischen fast 400 Jahre, in denen die Gemeinde die Kirche nutzt, veranlasst gesehen, den Bau den jeweils neu entstehenden Bedürfnissen und den als zeitgemäß geltenden Vorstellungen anzupassen. Manchmal geschah dies mit einem bewunderungswürdigen Einfühlungsvermögen gegenüber der vorhandenen künstlerischen Substanz, in anderen Fällen ging man mit einer ebenso erstaunlichen Rücksichtslosigkeit vor.
Um heute den Entstehungsprozess der Kirche ins Bewusstsein zu rufen und verständlich zu machen, wird zunächst der »Urbau« vorgestellt und in seiner symbolischen Bedeutung erläutert. Die folgenden Abschnitte sollen nicht nur die jeweiligen Ver- änderungen beschreiben, sondern auch die Überlegungen aufzeigen, von denen man sich in den einzelnen Umbauphasen leiten ließ.
Das Bild zeigt die ursprüngliche Außenansicht der Kirche, wie sie sich dem Besucher zeigte, der von der Goslarschen Straße (der heutigen Adolph-Roemer-Straße) kommend den Clausthaler Marktplatz betrat: Während der große Turm die Form zeigt, die er – von den Fenstern abgesehen – noch heute hat, war der zweite Turm, der Dachreiter, deutlich kleiner, als wir ihn heute kennen. Der geringere Durchmesser des Dachreiters bewirkte einen etwas größeren Abstand zwischen den Türmen. Aus diesem Grunde war dort genug Raum, um den Anschluss des Kirchendaches an den großen Turm harmonischer zu gestalten, als dies heute der Fall ist. Auch gab es an dem Dachreiter noch keine Uhr; stattdessen war auf der Südseite des großen Turmes zum Rathaus hin eine Sonnenuhr angebracht. An jeder Langseite war nur ein Treppenhaus mit Eingangstür vorhanden. Sie trugen jedoch im Unterschied zu heute geschweifte Hauben und erschienen so als eigenständige Türme. Das damals schon mit Blei gedeckte Dach hatte – anders als heute – überall den gleichen Neigungswinkel und bot ohne die erst später errichteten Gauben eine ruhige Fläche von monumentaler Wirkung, belebt allein durch »Ochsenaugen«, die kleinen, runden Dachfenster, von denen ein aufmerksamer Betrachter heute noch zwei entdecken kann. Die dicht an dicht durchfensterten Seitenwände der Kirche liefen gerade durch bis knapp hinter das heutige »mittlere« Treppenhaus mit dem Sondereingang zur Berg- hauptmannsloge. Von dort aus bildete der Grundriss der Kirche nach Osten ein halbes Sechseck. Auf diese Weise ergab sich ein sozusagen »halbrunder« vieleckiger Altarraum, wie wir ihn aus den Kirchen des Mittelalters kennen. In der Altenauer Kirche, die nach dem Vorbild der Clausthaler Kirche erbaut worden ist, hat sich diese Form des Ostteils unverändert erhalten. Anders als dort gab es in Clausthal aber an der Stelle, wo sich am First die Dachflächen des Chores trafen, noch einen schlanken Dachreiter mit einer Wetterfahne.
Die Rippenstruktur des Bleidaches setzte sich über die Wände fort, denn die Bretter der Holzverkleidung waren senkrecht angebracht und die Fugen mit profilierten Deckleisten geschlossen. Das Holzwerk war vermutlich blau gestrichen; mit Sicherheit waren die Gesimse und Rahmen weiß abgesetzt. Die den Platz umgebenden Häuser hat man sich dazu als Fachwerkgebäude mit schwarzem oder grauem Gebälk und weißen Gefachen vorzustellen.
ZUR SYMBOLIK
Blau ist seit alters her die Symbolfarbe für Glauben und Offenbarung. So kennzeichnet der Farbanstrich die Kirche als das besondere Zentrum, das sich die Bevölkerung mitten in ihre Alltagswelt (Markt, Wohnhäuser, Verwaltung) und deren »Schwarz-Weiß- Malerei« setzte.
Die Fünfzahl ist ein uraltes, mythisches Schutzsymbol gegen teuflische und andere böse Mächte. Daher behüten fünf Türme wie die Bollwerke »einer festen Burg« das Gotteshaus. Die Vierecke der beiden Treppentürme verweisen auf das Paradies gewissermaßen als Vorform für das himmlische Jerusalem. Die drei anderen Türme mit ihren Achtecken und den Laternen (als einem Licht und damit »Erleuchtung« spendenen Element) symbolisieren Gott Vater, Sohn, und Heiligen Geist. Die Wetterfahnen, deren ursprüngliche Symbolbilder leider nicht überliefert sind, bilden dabei eine besonders sinnfällige Illustration zu Johannes 3,8 und veranschaulichen so ganz unmittelbar, dass diese Kirche dem Heiligen Geist gewidmet ist.
Die Zeichnung (links) – rekonstruiert nach Befunden und Rechnungen – zeigt das Innere der Marktkirche mit dem Blick auf den Altar. Deutlich wird, dass die ersten Seitenemporen über den Bankreihen ihre Form bis heute unverändert bewahrt haben. Auf der Nordseite (also im Bild links) gab es damals allerdings die Abtrennung und Verglasung für die Berghauptmannsloge noch nicht; die Empore war bis vorne offen.
Die Außenwände des Gebäudes hinter den Emporen verliefen in der Flucht der heutigen inneren Eingangstür. Die dicht an dicht angeordneten Fenster dieser Außenwand bildeten eine lichtdurchstrahlte Glaswand, von der sich die Emporenarchitektur in einer Art Gegenlichteffekt wirkungsvoll abhob.
Bei der Kirchenerweiterung von 1689 bis 1691 wurden die Außenwände seitlich hinausgeschoben und mit weniger Fenstern versehen. Daher wirken heute die Fensteröffnungen von 1642 nur noch als Raumteiler. Die dahinter damals neu entstandenen Logen – zur Zeit für den Gottesdienst ungenutzt – waren für die Clausthaler Ratsherren un ihre Familien bestimmt. An der Stelle der 1689–91 eingebauten zweiten Empore zog sich die Wölbung des Innenraumes bis zur flachen Decke der ersten Empore hinunter. Das Gesimse, mit dem die Wölbung gegen die Emporenöffnung abschloss, bildet nun das Sockelprofil für die Brüstung der zweiten Empore.
Heute weist die Tonnendecke des Mittelschiffs nur noch fünf Reihen quadratischer Kassetten auf – ursprünglich waren es sieben. Das war ein Hinweis auf die sieben Gaben des Heiligen Geistes (nach Jesaja). Die Quadrate der Kassetten sind ein altes Symbol für das Paradies. Die besondere Bedeutung liegt in der Verknüpfung der beiden Symbole: Die Emporstützen bilden mit der Deckenwölbung über dem inneren Raum der Kirche einen »Himmel« genanntes Baldachin, das als »Heiliges Land« verstanden wurde. Wie in Prozessionen bis zum heutigen Tage über dem Allerheiligsten ein »Himmel« getragen wird, so bildet die gewölbte Kirchendecke als Symbol des Heiligen Geistes über der das Sakrament empfangenden Gemeinde ein schützendes Paradies.Bei der Kirchenerweiterung von 1689 bis 1691 wurden die Außenwände seitlich hinausgeschoben und mit weniger Fenstern versehen. Daher wirken heute die Fensteröffnungen von 1642 nur noch als Raumteiler. Die dahinter damals neu entstandenen Logen – zur Zeit für den Gottesdienst ungenutzt – waren für die Clausthaler Ratsherren un ihre Familien bestimmt. An der Stelle der 1689–91 eingebauten zweiten Empore zog sich die Wölbung des Innenraumes bis zur flachen Decke der ersten Empore hinunter. Das Gesimse, mit dem die Wölbung gegen die Emporenöffnung abschloss, bildet nun das Sockelprofil für die Brüstung der zweiten Empore.
Der Grundriss des Altarraumes war als halbes Sechseck gestaltet. Gegenüber dem Emporenteil der Kirche bildete er eine weite Halle. Der mit einer Halbkuppel überwölbte innere Raum wurde von einem Umgang umzogen. Dieser war flach gedeckt und hatte die Breite der Emporen. Seine Decke wurde von vier hohen Pfosten getragen – Symbole der vier Evangelien. So entstand ein Hallenchor, der auf die Besucher und Besucherinnen eine überwältigende Wirkung gehabt haben muss. Die Wandsegmente enthielten große Fenstergruppen, vor denen sich links die Kanzel, in der Mitte der Altar und rechts der Taufstein silhouettenartig abhoben. Der künstlerische Raumeindruck wurde dadurch gesteigert, dass das Mittelschiff von Bänken ganz frei blieb. Der Boden dort war mit kostbar gearbeiteten Grabplatten ausgelegt, von denen einige heute hinter dem Altar zu sehen sind. Das ansteigend angeordnete Gestühl stand (zu einzelnen Logen mit eigenen Türen zusammengefasst) unter und auf den Emporen. Es zeigte nicht zum Altar, sondern war auf das Mittelschiff ausgerichtet. Alle Ausstattungsstücke waren ebenso wie der gesamte Raum noch nicht farbig gestrichen, sondern holzsichtig behandelt. Die Holzflächen hatten ungefähr den Farbton des heutigen Orgelgehäuses. An den Emporen setzten schwarzbraun getönte Eichenholzschnitzereien besondere Akzente.
Die Zeichnung (rechts) zeigt – rekonstruiert nach Befunden, schriftlichen Quellen und zeit- genössischen Vergleichsobjekten – den Innenraum der Kirche in Blickrichtung auf den Turm, so dargestellt, wie ein Besucher die Kirche erlebte, wenn er unter dem großen Kronleuchter stand.